Leipzig bleibt friedlich – Kein Militärdrehkreuz am Flughafen Leipzig/ Halle
6. November 2020
Ansprache von Akademiedirektor Stephan Bickhardt im Friedensgebet in der Leipziger Nikolaikirche am 2. November 2020
Liebe Friedensgebetsgemeinde,
In der Tageslosung für heute, im Psalm 14, 3 heißt es:
Sie sind alle abgewichen und allesamt verdorben;
da ist keiner, der Gutes tut, auch nicht einer.
Diese Worte haben einen ungewöhnlichen Nachklang, nicht einer ist, der da Gutes tut. Ernüchterung. Ein Gefühl, das umsonst ist, was der Mensch tut. Ein Gefühl, das uns heute am ersten Tag des Lockdown light, der für manche überhaupt nicht light ist, erreicht. Vieles war geplant, vorbereitet und durchdacht; alles dahin, abgesagt, verschoben. Traurig ist das. Die Vergeblichkeit menschlicher Bemühung sich einzugestehen, kann helfen: zu sehen, was ist. Krise, Angst, Krieg, Gewalt.
Diese Vergeblichkeit kann aber nur als Vergeblichkeit wahrgenommen werden, wenn Maßstäbe da sind. Und im Blick auf Krieg und Kriegswaffen sind solche Maßstäbe da – und das ermutigt. Wenn schon im zweiten Satz der Grund- und Bürgerrechte unserer Verfassung, des Grundgesetzes vom Frieden in der Welt gesprochen wird, dann steht der Maßstab im Raum: „Das Deutsche Volk bekennt sich zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.“
Was für ein Bekenntnis, was für ein Satz. Menschenrecht und Frieden in der Welt sind unser menschliches, unser weltliches Bekenntnis. Natürlich sind fehlbare Menschen und Gesellschaften vor solchem Friedensbekenntnis mit eigenem Scheitern konfrontiert. Ich frage: wo wollten wir hinkommen, sollten wir nicht mehr das große Ziel von Frieden und Gerechtigkeit verfolgen. Das steht nach Gottes Willem über allem und deshalb sind diese Klageworte aus dem Psalm ernst gemeint: alle sind abgewichen und verdorben. Wo ist das Gute?
Sprechen können solche Sätze gewiss politische Gefangene, die die Schläge der Prügelstöcke, das Panzerrollen, die Bomben überstanden haben – in Belarus und in Bergkarabakh. Hier im Psalm sprechen Menschen, die der Gewalt erlegen sind. Ihnen dröhnt entgegen: hier ist kein Gott (Psalm 14,1). „Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören (schon zu stören!) … sind verfassungswidrig. Sie sind unter Strafe zu stellen.“ (Artikel 26, 1 des Grundgesetzes). Stehen nicht solche Worte dem Totenreich und der Gottesferne entgegen? Wie beurteilen wir die Herstellung von Waffen und ihre Weiterverbreitung unter diesem Grundsatz?
Selbst im Kriegswaffenkontrollgesetz unseres Landes heißt es, dass eine Genehmigung zur Produktion und Weitergabe von Kriegswaffen zu versagen ist, „wenn die Gefahr besteht, dass die Kriegswaffen bei einer friedensstörenden Handlung … verwendet werden“ (Kriegswaffenkontrollgesetz, Artikel 6) Was fördert den Frieden und befördert das Gute, so dass wir Gott nicht mehr klagen müssen, nichts sei gut?
Alles was friedensförderlich ist, was das Zusammenleben der Völker belebt, was weltweitem Frieden dient, ist gut. Und die wirkliche Treiberin dieses Friedens ist die Gerechtigkeit, wie es im Gebet heißt: Gott ist bei dem Geschlecht der Gerechten (Psalm 14, 5). Gerechtigkeit in kleinen Schritten schafft Frieden. Es ist um der Gerechtigkeit willen ein Erstes zu fragen und darüber zu sprechen und Informationen auszutauschen, welche Waffen am Leipziger Flughafen repariert, womöglich gebaut und logistisch geführt werden sollen. Gerecht kann nicht sein, wer verschweigt.
Das Bekenntnis zum Frieden rührt das Gewissen, ein Bekennen ohne Wissen und Gewissensprüfung kann es nicht geben. Und wer sich’s da schwer macht, dem wird leichter durch den Austausch mit anderen, so wie wir das hier versuchen in dieser Friedenskirche. Öffentlich im Gespräch sein. Wie nun aber beginnt dieses öffentliche Eintreten für den Frieden? Was ist an uns? Das Bibelwort Psalm 14, 3 liest sich dazu wie eine Erfindung für jeden und jede: da ist keiner, der Gutes tut, auch nicht einer. Wie ist das zu verstehen?
Liebe Gemeinde, einer muss anfangen, da gibt es kein Drumherumum, eine muss anfangen. Deshalb sage ich hier bewusst den Dank an die Einzelnen in der Initiative „Leipzig bleibt friedlich – Kein Militärdrehkreuz am Flughafen Leipzig/ Halle“. Anfangen vom Guten zu reden, was eben auch darin bestehen kann, Waffen nicht zu wollen, u. a. deshalb, weil wir nicht wissen, was, wann, wo mit ihnen geschieht.
Wo nun eine oder einer vom Guten spricht, bleiben Menschen nicht allein. Das hat das Gute an sich. Denn das Gute drängt zum allgemeinen. Wer in Leipzig möchte Rüstungsfabriken? Wir wollen Friedensfabriken, deren Geräte nicht und nichts zerstören. Es bleibt bei dieser Hoffnung, die Gott über seine Menschheit legt: alle wollen Frieden, alle sollen suchen nach gerechten Wegen zum Frieden.
Eine muss beginnen, damit viele vom Guten reden und alle Frieden wollen. Das spricht für mich heute aus dem Bibelwort. Wir entreißen dem Totenreich die Vergeblichkeit, das bitter Nüchterne, das Gefühl, alles sei umsonst. Gottes Friedensvision führt uns mit Gebet und Tat in das Reich des Lebens. Wir möchten Pflugscharen sehen.
Amen.
Pfarrer Stephan Bickhardt, Direktor der Evangelischen Akademie Sachsen