60 Jahre Meißner Kantorei 1961
25. Oktober 2021
Predigt Dom zu Meißen 20. Sonntag nach Trinitatis 2021 von Akademiedirektor Stephan Bickhardt
Liebe Gemeinde, liebe Chorgemeinschaft,
Feindschaft und Verfeindungen nehmen in den letzten beiden Jahren zu. Immer dann, wenn Familien, Partnerschaften, Freundschaften vor einem Riss stehen, vor einem Riss aus allgemeinem Grund, kann eine solche Behauptung in den Raum gestellt werden. Feindschaften und Verfeindungen haben zugenommen. Viele Menschen entzweit die Einstellung zur Corona-Pandemie. Und dabei denke ich jetzt gar nicht an die Corona-Leugner, sondern an die sehr unterschiedlichen Einstellungen zur Frage nach der Wirksamkeit von Schutzimpfungen. Da sagt die Partnerin, ich lasse mich impfen, da sagt der Partner, ich nicht. Da gehen fortlaufend neue Informationen zu diesem weltweiten Dauerereignis ein und schon beginnt das Gespräch wieder. Die Jugendlichen in der Familie sehen es sowieso anders, die Mutter verbündet sich, der Vater wird ganz ärgerlich. Alle können nicht mehr gemeinsam in die Kneipe gehen und so nehmen die Dinge ihren unversöhnlichen Lauf. Feindschaft und Verfeindung, manchmal auch Rumgedruckse, Ausreden, Wegsehen. Wir leben in schwierigen Zeiten, sie neigen zu Erregung und Dauerdissens. Schließlich wird gar nicht mehr miteinander geredet, ein Phänomen, das längst vor der Pandemie um sich gegriffen hat und unter dem vor allem die Kinder leiden. Wie, liebe Schwestern und Brüder, können wir den Predigttext des heutigen Sonntages hören? Hilft er?
Im 10. Kapitel des Matthäusevangeliums, in den Versen 34-39 hören wir in eine Rede hinein, die Jesus an seine Jünger richtet: Lesung.
Von Entzweiung und Feindschaft höre ich auch aus anderen Situationen. Meine polnischen Freunde erzählen immer wieder, wie der jetzige Regierungskurs tief in die familiären Gesprächssituationen eingreift. Sind wir nun für Europa oder sind wir ausschließlich für unsere polnische Nation? Sind wir nun für die Stärkung des Rechtsstaates samt Gewaltenteilung oder für den Grundsatz „alle Macht den Regierenden“? Dieser Streit geht so tief, dass manche nicht mehr gemeinsam zur Eucharistiefeier gehen wollen. Und genau um diese Frage geht es Jesus in der Aussendungsrede an seine Jünger, die er schickt, die Botschaft vom Gottesreich von Galiäa und Jerusalem aus nach Syrien und in das römischen Reich zu bringen. Was ist euch gemeinsam auf eurem Weg? Ich sage euch: „ich bin nicht gekommen Frieden zu bringen auf die Erde, sondern das Schwert“. Ihr werdet leiden, liebe Jüngerinnen und Jünger, das Schwert müsst ihr in der Nachfolge aushalten, ihr werdet vertrieben und nicht geachtet, ihr empfindet Demütigung und erfahrt Gewalt bis hin zum Märtyrertod.
Liebe Gemeinde, es geht noch weiter. Die Situation derer, die diese Worte Jesu hören, müssen wir hier bedenken. Charismatische, wandernde Jesusgläubige folgen ihm nach, sie bilden eine Art neue Familie. Sie wissen, Jesus bringt das Gottesreich. Hier sehen wir den Menschensohn, der ganz von Gott gewollt ist, für uns. Dafür verlassen wir Mutter, Schwester, Bruder, verlassen die Häuser und die Äcker. Was da geschah in der Nachfolge Jesu bedeutete einen radikalen Statusverlust. Schwerter durften man sowieso nicht tragen, das war Soldaten vorbehalten im Römischen Reich. Frauen, wie das Lukasevangelum berichtet, waren unter diesen ziemlich radikalen Verzichtsmenschen – sie verzichteten auf Feindschaften jeder Art, mussten aber Entzweiung und Feindschaft hinnehmen. Es ist uns Bürgern, die in einem Sozialstaat leben, nur schwer verständlich: wer auf Familie damals verzichtete, verzichtete auf das, was wir heute soziale Absicherung nennen. Für die Verbreitung der Botschaft des Evangeliums kannst du, Mensch vieles auf dich nehmen.
Und solches Leben in der Nachfolge und in der Gemeinschaft Jesu Christi unter den heutigen Lebensbedingungen hat die Meißner Kantorei 1961 tief im Sinn, wenn sie einst dieses, was hier mit Schwert und Entzweiung, was mit Trennung und Gericht gemeint ist im Werk von Wolfgang Hufschmidt zur Tausendjahrfeier dem Meißner Domes zum Ausdruck brachte. Die radikale Hinwendung zur Gottesfrage. Denn damals – lang ist das nicht wirklich her – damals 1968 zur Tausendjahrfeier wurde das Te deum von Hufschmidt aufgeführt – mit einem provokativen Textzusatz von Günter Grass, damals längst noch nicht Literaturnobelpreisträger. Da heißt es: „Wir loben und danken/ wir nähen uns heiß./ Wir trennen die Naht auf/ und fädeln die Zeit,/ wir säumen den Nachmittag ein./ Wir feuchten den Daumen an,/ finden durchs Nadelöhr/ Einlass ins himmlische Reich.“ Was hier, liebe Schwestern und Brüder im Bild einer Näherin von Günter Grass in ein Prosagedicht gelegt wird, erzählt von der Mühsal, die Jesus den Seinen mitgibt, ganz gegenwärtig wird davon erzählt und einst von der Meißner Kantorei 1961 aufgeführt. „Wir feuchten den Daumen an,/ finden durchs Nadelöhr/ Einlass ins himmlische Reich.“
Wer heute für Gottes Reich einstehen will, dabei sein möchte, scheut nicht, den schmalen Grad entlang zu gehen und das Nadelöhr zu finden, die kleine Öffnung, durch die der Faden geht. Das braucht Geduld. Geduld, die es braucht, um Entzweiung zu überwinden. Wer heute für Gottes Reich in der Nachfolge Jesu einstehen will, geht durch die Zeit, hat nicht Angst vor der Nacht, weiß sich getragen in schweren Stunden, lobt Gott, dankt ihm und genießt den Nachmittag, der – im Bild von Günter Grass gesprochen – eingesäumt ist. Der Nachmittag ist eingesäumt, eine Zeit des Tages hat Frieden und ist fern der Feindschaft, der Entzweiung, der Verfeindung. Mit dem jüdischen Religionsphilosophen Pinchas Lapide rufen ich ihnen zu: entfeindet diese Welt. Das Schwert ist nicht in unserer Hand und Gott will es nicht schwingen. Sein Reich, das Reich Gottes bricht überall da an, wo versöhnt und versachlicht wird. Dann kann Freude plötzlich überraschen und strömen, strömen, wie die Elbe nicht aufhört zu fließen. Amen.