Einsamkeit in Zeiten von Corona- und was wir dagegen tun können
23. März 2020
Fragen an den Psychologen Dr. Olivier Elmer
Dr. Kerstin Schimmel: In Zeiten von Quarantänen und Ausgangssperren sind viele Menschen verunsichert. Gerade wer alleine zuhause ist, befürchtet zu vereinsamen. Was sagt die Psychologie zu dieser Sorge?
Dr. Olivier Elmer: Alleinsein als solches ist dann ein geringeres Risiko, solange es freiwillig erfolgt. Im Gegensatz zu den Wüstenvätern des frühen Christentums ist aber genau das nicht der Fall, wenn bei einer Pandemie der Ausgang untersagt wird. Vor allem, wenn die Dauer unbestimmt ist, erzeugt Isolation Ängste. Zur Angst, sich angesteckt zu haben, kommt bei einer Isolation die Sorge, nicht mehr handlungsfähig, ausgeliefert zu sein, nicht mehr gebraucht und anerkannt zu werden.
Wir Menschen sind auf Kooperation angelegt. Diese aktiviert in unserem Gehirn das Belohnungssystem. Isolation hingegen aktiviert die gleichen neurobiologischen Systeme wie körperlicher Schmerz. Und den wollen wir ja vermeiden.
Dr. Kerstin Schimmel: Und was können wir dagegen tun?
Dr. Olivier Elmer: Drei Dinge sind hier besonders wichtig:
- Sich ein realistisches Bild von der Wirklichkeit zu machen, erzeugt Sicherheit. Das gelingt nur, indem wir uns an wissenschaftlichen Fakten orientieren statt an Gerüchten. Wenn wir uns über seriöse Medien orientieren, statt jeder Sau zu folgen, die durchs Netz getrieben wird, ist das Aufklärung – und die hilft tatsächlich!
- Sich realistische Ziele zu setzen, ist ebenfalls wichtig: sich für den Tag etwas vorzunehmen, ob es das Schreiben eines Tagebuchs, das Aufräumen des Kellers oder das Führen eines Interviews mit Dir ist. Sich als wirksam zu erleben, stärkt ungemein!
- Am wichtigsten ist es aber, Kontakte zu erhalten und dabei alle alt- wie neumodischen Medien zu nutzen. Es spricht ja nichts dagegen, wenn die Großmutter Skype ausprobiert und der Enkel versucht, einen Brief – das ist dieses Teil aus Papier – zu schreiben. Bei allen Gesprächen ist es wichtig, nicht in eine Problemtrance zu verfallen, wie wir Psychologen das nennen: Sorgen dürfen geteilt werden – aber nicht das ganze Gespräch sollte darum kreisen. Wir dürfen ja trotz Corona planen: Hast Du schon eine Planung für das Osterfest mit Freunden und der Familie für 2021?
Besonders, wenn Kontakte mit Unterstützung einhergehen, haben sie eine Schutzfunktion: Nachbarn, aber auch gerade unseren Kirchengemeinden kommt da eine wichtige Rolle zu. Gerade in den östlichen Landeskirchen gibt es nach meiner Erfahrung tolle Netzwerke. Das würde ich mir im Westen oft wünschen… Werden wir als Kirche doch gerade in der Krise sichtbar! Probieren wir doch mal aus, wovon wir gerne reden: geschwisterlich sein!
Dr. Olivier Elmer ist Psychologischer Psychotherapeut am Psychiatrischen Zentrum Nordbaden in Wiesloch bei Heidelberg. Er hat außer Psychologie auch Diakoniewissenschaft studiert und ist Prädikant der Evangelischen Landeskirche Baden.
Am kommenden Montag heißt es bei den Fragen an Herrn Dr. Elmer: Auf der Home-Office-Insel: Was passiert, wenn wir ganz eng beisammen sind.
Kerstin Schimmel
Fotos: Arek Socha/pixabay.com; Kerstin Schimmel
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