Im Trommelfeuer der schlechten Nachrichten: Was macht die Medienflut mit uns?
6. April 2020
Fragen an den Psychologen Dr. Olivier Elmer
Von Dr. Kerstin Schimmel
Egal, ob wir den Fernseher einschalten, ins Internet gehen oder die Zeitung aufschlagen – es scheint nur noch ein Thema zu geben: Corona. Was bedeutet das für die Menschen?
Dr. Olivier Elmer: Wir befinden uns in einem Nachrichtentunnel mit einer völlig verengten Perspektive auf die Wirklichkeit. Da es sich um ein bedrohliches Szenario handelt, versuchen wir, die damit verbundene Angst abzuwehren. Aus der Forschung wissen wir, dass vor allem Männer hier gerne verdrängen, bagatellisieren und sich als „stark“ präsentieren wollen. Da das Gefühl, handeln zu können, Angst reduziert, kommt es noch zu einem weiteren Abwehrmechanismus mit panikbestimmten Verhaltensweisen. Da sind wir dann beim derzeit bekanntesten Tier – dem Hamster.
Können wir durch die ständigen „breaking news“ nicht auch abstumpfen?
Dr. Olivier Elmer: Das ist sogar eine häufige Möglichkeit, wie unser Gehirn mit Daueralarm umgeht – mit dem Risiko, dass wir Wichtiges nicht mehr gut herausfiltern können. Und eine weitere Gefahr besteht: Da unser Gehirn gern Komplexes reduziert und unsere Welt in Schubladen aufteilt, werden auch Schwarz-weiß-Denken und Verschwörungstheorien zunehmen. Ein Beispiel ist die schon im Netz kursierende Idee, die Pandemie sei ein Trick der „Herrschenden“, um unsere Freiheit einzuschränken.
Was kann ich als mündige Konsumentin tun, um da gegenzusteuern?
Dr. Olivier Elmer: Wir sollten uns nicht berieseln lassen, sondern gezielt seriöse Medien für unsere Information nutzen: Onlineportale der großen Wochenzeitungen, Tageszeitungen, Websites wissenschaftlicher Institute… Und wir sollten auch mal eine Nachrichtenpause einlegen, z.B. mal wieder einen Roman lesen, ein Konzert streamen oder Bilder von Ausstellungen online anschauen – die Evangelische Akademie geht da ja mit gutem Beispiel voran!
Da bringt mich zur Frage der Verantwortung von uns, die wir Medien gestalten. Was können wir tun?
Dr. Olivier Elmer: Natürlich sollte eine Institution wie die Evangelische Akademie Meißen auf Ängste eingehen, und da muss natürlich auch das Thema „Corona“ seinen Platz haben. Aber Ihr solltet auch vermitteln, dass die Welt nicht nur aus Corona besteht – die Verengung des Blicks ist ja künstlich. Gerade Kunst und Literatur können helfen, den Blick zu öffnen: auf andere Problemlagen, die ja nicht einfach verschwunden sind. Aber eben auch auf Inspirierendes, Mut machendes, das die Zukunft eröffnet.
Nichts wäre falscher, als zu denken, wir müssten jetzt einen großen Lesekreis bilden, der sich nur mit Albert Camus „Die Pest“ beschäftigt. Ein großartiger Roman, gewiss. Aber mir schwebt da ein anderes Beispiel vor, das auch mit einer Epidemie zu tun hat: In Boccaccios „Decamerone“ aus dem 14. Jahrhundert nutzen die Frauen und Männer, die gemeinsam der Pest in ihre selbstgewählte Quarantäne auf dem Land entfliehen, die gewonnene Zeit, um Geschichten zu erzählen von Themen die bleiben: eben nicht nur der Tod, sondern auch Liebe und Freundschaft.
Im Interview mit Dr. Olivier Elmer in der nächsten Woche wird es um Orientierung gehen.