Der gesteuerte Mensch – Ebenbild Gottes?
20. Februar 2020
Die Digitalisierung verändert unser Leben und unsere Gesellschaft tiefgreifend. Doch um welchen Preis? Suchen Sie mit uns nach Antworten!
Innerhalb weniger Jahre haben digitale Medienangebote, Online-Communitys und Apps für alles und jeden das Leben verändert – so sehr, dass die Behauptung vielleicht zutrifft, Gesellschaft und Politik haben aufgrund des Tempos die Entwicklung nicht mehr im Griff. Weil dieser Wandel im Interesse einer großen Mehrheit der Menschen zu liegen scheint, sind Interventionen immer schwieriger und werden sogar immer öfters heftig bekämpft.
Während die Einen sich bereitwillig den Steuermöglichkeiten der künstlichen Intelligenz (KI) aussetzen, sehen die Anderen mit großer Sorge das christliche Menschenbild erodieren. Wie finden wir gemeinsam zurück zu Maß und Mitte? Wie können Kirche und Gesellschaft die neuen Medien verantwortlich nutzen? Auf diese und Ihre Fragen sollen auf einer Tagung am 6./7. März in Meißen Antworten gesucht werden. Befürworter und Gegner der Digitalisierung kommen ins Gespräch. Einer von Ihnen ist der Leipziger Philosoph, Pädagoge und Autor Gottfried Böhme.
Herr Böhme, wollen Sie die technischen Entwicklungen zurückdrehen?
Wir können wohl kaum den geklauten oder freiwillig preisgegebenen Daten befehlen: „Marsch, zurück in die Privatsphäre, aus der ihr extrahiert wurdet!“ Das wäre ähnlich aussichtslos, wie darauf zu hoffen, dass der elektrische Strom zurück in die Steckdosen fließt. Es nützt nichts: Der Geist ist aus der Flasche. Kaum entfleucht, hat er sich in wenigen Jahren nahezu lückenlos über den ganzen Globus gelegt.
Weil man die technische Entwicklung nicht zurückdrehen kann, wird es allein darauf ankommen, dass man die Souveränität über den Datengebrauch zurückerobert. Das wird nicht gleich im ganz großen Stil gelingen, aber man kann doch dafür sorgen, dass Inseln entstehen, in denen solche Souveränität sich wieder großer Wertschätzung erfreut – und man kann Widerstandslinien aufbauen, damit nicht die Einrichtungen, von denen das Funktionieren unserer Gesellschaft abhängt, ihrerseits in eine gefährliche Abhängigkeit von Digitaltechnik und Digitalkonzernen geraten.
Der Hackerangriff auf das Rechenzentrum der Universität Gießen zeigt deutlich, welche Risiken die Auslieferung an Digitaltechnik birgt. Die gesamte EDV – buchstäblich alle Computer der Uni – mussten vom Stromnetz genommen werden. Vierzehn Tage lang war der Universitätsbetrieb schwer gestört. Gott sei Dank hatte wenigstens die Bibliothek noch papierene Ausleihscheine …
Welche Möglichkeiten sehen Sie, dass beispielsweise in Schulen junge Menschen sensibilisiert werden?
Sie fragen nach der Schule? Reden wir erst mal von der Kirche!
Seit Martin Luther Nikolaus Kopernikus für einen „Narren“ hielt, seit der Vatikan das Musterbeispiel für Wissenschaftsfeindlichkeit lieferte, als er Galileo Galilei verurteilte, schrecken die Kirchen zunehmend davor zurück, technisch-wissenschaftliche Entwicklungen rechtzeitig kritisch zu kommentieren. Das nahezu vollständige Schweigen der Kirchen zum Thema Digitalisierung steht in dieser Tradition. Im Gegenteil versucht die Kirche sich mit segnenden Robotern oder flotten Apps anzubiedern, statt Schutzräume aufzubauen und Demarkationslinien zu ziehen.
Deshalb ist heute die Schule tatsächlich der einzige nennenswerte Raum, in dem junge Menschen für die Gefahren der Digitalisierung sensibilisiert werden können. Sie fragen mich, wie das geschehen könnte? Darauf kann man leider nicht in Social-Media-Kürze antworten. Da muss man schon nach Meißen zur Tagung kommen.
Von den vier modernen apokalyptischen Reitern – den Agrarindustriellen, die im Verbund mit der Agrarchemie die Evolution durch Artenvernichtung umkehren, den Energiegiganten, die das Weltklima schädigen, den Vermögensverwaltungsriesen wie Blackstone und Blackrock, die unsere Städte durch Mieterhöhung und Spekulation zerstören, den Datenkonzernen, die das Verhalten des Menschen steuern wollen – sind die letzteren die gefährlichsten, weil sie es schier unmöglich machen könnten, die anderen Monster in Schach zu halten.
Es wird nicht reichen, in der Schule private und berufliche Digitalkompetenzen einzuüben, wie das im Strategiepapier der Kultusministerkonferenz „Bildung in der digitalen Welt“ vorgeschlagen wird. Unsere Jugend muss gründlich politisch gebildet werden. Nur dann kann sie sich erfolgreich dafür einsetzen, dass auch in Zukunft jeder Mensch eine Privatsphäre hat und der demokratische Diskurs nicht digitaler Manipulation zum Opfer fällt.
Was wäre der Mensch heute ohne Computer?
Man könnte antworten: ein hilfloses Wesen. Denn immer mehr Menschen organisieren ihren Alltag mittels des Smartphones. Ich möchte aber so antworten: Der Mensch ist heute wie früher ein liebenswertes Wesen. Und ein Sünder. Und durch und durch analog. Egal, wie oft er auf sein Smartphone blickt.
4 Kommentare zu “Der gesteuerte Mensch – Ebenbild Gottes?”