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Die Proteste in Belarus und die Kirchen


28. August 2020

Von Dr. Julia Gerlach

Seit Wochen zieht es in Belarus tausende Menschen zu Protesten auf Straßen und Plätze, inzwischen flankiert durch Streiks in Staatsbetrieben: rund 80 Prozent der Unternehmen sind staatlich. Ein Hauch von Revolution liegt über Minsk, Grodno und anderen Städten des Landes. Anlass sind die Präsidentschaftswahlen Anfang August 2020. Bereits im Vorfeld der Wahlen, bei denen es zu Manipulationen und Fälschungen kam, demonstrierten Menschen gegen die Nicht-Zulassung und Inhaftierung möglicher Kandidaten und staatliches Vorgehen gegen Regimekritik.

Das ist nichts Neues in Belarus, das seit 1994 von Alexander Lukaschenko autoritär regiert wird. Das Novum besteht darin, dass es einem Trio aus drei Frauen um Swetlana Tichanowskaja gelungen ist, Wahl- und Lukaschenko-kritische sowie oppositionelle Kräfte zu einen und eine Massenbewegung zu formieren, die trotz massiven Aufgebots von Polizei, Sicherheitskräften und Militär, Festnahmen und Gewalt gegen Inhaftierte sowie drohendem Verlust des Arbeits- oder Studienplatzes und auch aus dem litauischen Exil heraus Tag für Tag Tausende mobilisiert. Nachdem sich Lukaschenko am vergangenen Wochenende mit schusssicherer Weste und Kalaschnikow martialisch in Szene setzte, wird immer deutlicher, wie angespannt und gefährlich die Lage ist, während Russland und die Europäische Union unter deutscher Ratspräsidentschaft abwarten.

90 Prozent der Bevölkerung von Belarus bezeichnet sich nach einer Umfrage des Pew Research Centers von 2017 als religiös, die meisten davon als christlich. Mit 73 Prozent bilden Orthodoxe die größte Konfession, gefolgt von 12 Prozent Katholiken, die überwiegend im Westen des Landes leben. Die evangelisch-lutherische Kirche vereint weniger als ein Prozent der Gläubigen. Gemeinden gibt es nur in Minsk, Witebsk und Grodno, wo sich die landesweit einzige lutherische Kirche befindet.

Die beiden großen Kirchen im Lande positionieren sich sehr unterschiedlich und keineswegs eindeutig in Bezug auf die Proteste. Mit den Konfessionen verbinden sich politische Tendenzen. Die Belarussisch-Orthodoxe Kirche untersteht dem Moskauer Patriarchat und somit der Russisch-Orthodoxen Kirche. Grundsätzlich pflegen orthodoxe Kirchen eine wechselseitige Nähe zu Nation und Staat (symphonia). Metropolit Pawel (Georgi Ponomarjow), patriarchalischer Exarch von ganz Weißrussland, gehörte zu den ersten, die Lukaschenko zum Wahlsieg gratulierten. Wenige Tage darauf appellierte er jedoch direkt an diesen, „alles zu tun, um die Gewalt zu stoppen“. Schließlich verkündete die Synode der Belarussisch-Orthodoxen Kirche, die orthodoxe Kirche stehe immer außerhalb der Politik und betreibe keine Propaganda zugunsten politischer Parteien und Führer. Ihre Aufgabe sei es, Menschen zu einen. Nach kritischen Tönen, darunter des Erzbischofs Artemy von Grodno und Wolkowysk, verlautbarte sie, politische Statements von Klerikern seien „Ausdruck ihrer persönlichen bürgerlichen Position“ und spiegelten „nicht die offizielle Position der Belarussisch-Orthodoxen Kirche wider“. Zuvor hatte Lukaschenko die Kirchen explizit vor politischer Einmischung gewarnt.

Bei einer Zusammenkunft der Heiligen Synode der Russisch-Orthodoxen Kirche, zu der die Belarussisch-Orthodoxe gehört, wurde in einer abschließenden Stellungnahme auf die Notwendigkeit einer „Wiederherstellung des Friedens und der öffentlichen Ruhe“ in Belarus hingewiesen. Zudem bauten die Synodalen etwaigen Zerfallserscheinungen der über die Landesgrenzen Russlands wirkenden Russisch-Orthodoxen Kirche entgegen, indem sie bekräftigten, „wie wichtig es ist, die kirchliche Einheit der Völker des historischen Russland unter den Bedingungen der Verschärfung sozialer und politischer Konflikte zu bewahren und zu stärken“.

Die katholische Kirche in Belarus steht traditionell den Glaubensgeschwistern in Polen nahe, die ihrerseits eine besondere Rolle in Zeiten des Wandels in den 1980er Jahren einnahmen. So forderte der Minsker Erzbischof Tadeusch Kondrusiewitsch die Einrichtung eines Runden Tisches unter Vermittlung der Kirchen nach dem Vorbild Polens. Auf ihrer Webpräsenz sind Fotos von Protesten und deren Symbol, der weiß-rot-weißen Flagge (Belarus‘ Flagge der Unabhängigkeit von der Sowjetunion, die Lukaschenko 1995 durch die rot-grüne ersetzen ließ) zu sehen. „Wir überwinden zusammen mit dem auferstandenen Christus das Böse, wenden uns von ihm ab und nähern uns Gott“. „Wenn Gott mit uns ist, wer ist gegen uns?!“. Die katholische Kirche ist überdies Treibkraft ökumenischer Aktionen, etwa von Prozessionen mit Friedensgebeten in Minsk.

Wie es in Belarus weitergehen wird und wie die Kirchen weiterhin wirken können, steht indes in den Sternen.

Dr. Julia Gerlach ist Studienleiterin Demokratie, Wirtschaft und Soziales der Evangelischen Akademie Sachsen

Quellen: Katholische Kirche in Belarus: catholic.by (in belarussischer Sprache), Belarussisch-Orthodoxe Kirche: church.by (in russischer Sprache); Pew Research Center: pewforum.org (in englischer Sprache).

Kirchen in Mins. Foto: Zdeněk Fekar auf Pixabay