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In der Wagenburg der Vorurteile


8. Juni 2020

Die Psychologie des Rassismus

Von Dr. Kerstin Schimmel

 

Die Polizeigewalt in den USA, die folgenden Unruhen, aber auch fremdenfeindliche und antisemitische Gewalt bei uns sind für mich ein Zeichen, dass Rassismus eine Herausforderung bleibt. Die Pandemie scheint dabei wie ein Katalysator zu wirken, angesichts mancher Aussagen bei Protesten gegen die Corona-Maßnahmen. Die „Jenaer Erklärung“, 2019 von zahlreichen Naturwissenschaftlerinnen und Naturwissenschaftlern unterschrieben, erläutert, dass „Rasse“ vor allem ein soziales Konstrukt ohne biologisches Fundament ist. Auch eine Ausstellung im Hygiene-Museum Dresden hat das vor zwei Jahren gezeigt. Doch wie sieht es mit dem Rassismus aus? Wie verankert in uns ist er aus psychologischer Sicht?

Dr. Elmer: Es gibt eine Veranlagung, nützliche Unterscheidungen vorzunehmen, um sich in der sozialen Welt zu orientieren. Das ist evolutionsbiologisch bedingt und von sich aus nicht rassistisch. Sozialpsychologische Experimente haben gezeigt, dass der Mensch von Natur aus in der Lage ist, schnell die Gruppenzugehörigkeit einer Person zu erkennen. Ebenso erkennt er in Bruchteilen von Sekunden Alter oder Geschlecht. Das war für Menschen der Urzeit überlebenswichtig, um Freunde von feindlichen Gruppen zu unterscheiden. „Rasse“ hingegen ist nur eines von vielen Merkmalen, das im evolutionsbiologischen Sinne nicht relevant gewesen ist.

 

Treiber des Rassismus waren historisch gesehen sicherlich die Reconquista, die christliche Rückeroberung der iberischen Halbinsel; und der Kolonialismus, der den weißen Mann als den »Wilden« überlegen darstellte. Während meiner Jahre in Lateinamerika konnte ich die Nachbeben dieser Erschütterungen erfahren. Und Pläne im 19. Jahrhundert, das Erbgut rassisch zu steuern, gipfelten dann in der Nazi-Ideologie. Aber obwohl wir ja gerade in Deutschland offiziell allen rassistischen und antisemitischen Ideologien abgeschworen haben, zeigt sich auch in unserem Alltag Rassismus, von abfälligen Bemerkungen oder „Witzen“ bis hin zu Tätlichkeiten. Dabei erschrecken mich die damit verbundenen negativen Emotionen. Wie lassen sich diese erklären?

Dr. Elmer: Es gibt britische Untersuchungen an der menschlichen Amygdala, die Teil des limbischen Systems unseres Gehirns ist, zuständig für Gefühle. Zeigt man Versuchspersonen Fotos von Menschen mit schwarzer und weißer Hautfarbe, kommt es dort zu einer Reaktion – abhängig von der eigenen Hautfarbe. Diese und andere Experimente deuten darauf hin, dass Voreingenommenheit tief in der menschlichen Gefühlswelt verwurzelt ist, dem Bewusstsein nicht zugänglich. Gleichzeitig zeigen sich Wechselwirkungen mit physiologischen Reaktionen, etwa einem erhöhten Herzschlag. Wenn wir angespannt und ängstlich sind, können unsere aktivierten Vorurteile zu heftigen Reaktionen führen und auch Aggressionen triggern.

 

Es gibt demnach eine tief in uns verankerte Tendenz, unsere Welt unterscheidbar zu machen, weil Stereotype die Welt überschaubar machen. Aber es ist offenbar nicht zwangsläufig, dass es sich dabei um rassistische Unterscheidungen handeln muss. Wenn rassistische Einstellungen historisch und sozial bedingt sind, sind sie ja nicht unveränderbar. Was hilft, psychologisch betrachtet, den Rassismus in uns zu verändern?

Dr. Elmer: Rassismus ist auch ein Projektionsmechanismus, um unangenehme Empfindungen auf ein äußeres Feindbild zu übertragen. Aus der Projektion ergeben sich Wahrnehmungsmuster, die sich als Angst und Wut äußern und die sich quasi selbst bestätigen. Der Psychoanalytiker Rolf Pohl spricht von einer „Ablösung von Reflexion durch reflexhaftes Handeln“. Das trifft es ganz gut. Doch wir sind nicht verdammt, dem ewig zu folgen. Der Psychologe Rodolfo Mendoza-Denton konnte belegen, dass die für uns oft so wichtige Unterscheidung zwischen „Innen-“ und „Außengruppe“ recht formbar ist: Das Vorurteil, das man gegenüber einer vermeintlichen Rasse, einer Religion, einem Geschlecht, einer sexuellen Orientierung hat – es kann sich ändern!

 

Und welche Möglichkeiten gibt es da?

Dr. Elmer: Ein Weg, um eigene Vorurteile gegenüber einer anderen Gruppe abzubauen, kann darin bestehen, bewusst Kontakt zu Menschen zu suchen, die anders als man selber sind – und so den eigenen Bekanntenkreis zielgerichtet zu erweitern.

Wir bringen Vorurteile vor allem mit unserem Kopf in Verbindung. Neuropsychologische Studien zeigen aber, dass sie auch in den physiologischen Prozessen unseres Körpers verankert sind. Das sollten wir berücksichtigen, wenn wir darüber reden, wie es zu rassistischen Verhaltensweisen kommt. Eine Studie der Neurowissenschaftlerin Sarah Garfinkel belegt, dass Menschen, die ein gutes Gespür für ihren Körper haben, den angsteinflößenden Effekt physiologischer Erregung abschwächen können. Achtsamkeit für unseren Körper und unsere Gefühle kann gelernt werden und helfen, aggressives Verhalten zu verhindern.

 

Das klingt optimistisch, zumindest was veränderungsbereite Einzelne angeht. Aber Rassismus ist ja nicht nur ein individuelles, sondern ein gesellschaftliches Problem!

Dr. Elmer: Und aus diesem Grund ist es Aufgabe der Politik, seine strukturellen Bedingungen zu analysieren und diese zu verändern. Menschen werden ja nicht nur psychologisch ausgegrenzt, sondern auch ökonomisch und institutionell deklassiert, nicht nur in den USA.

Und umgekehrt gilt auch: soziale Ungleichheit, verbunden mit ungleich verteilten Bildungschancen, kann ebenfalls rassistische Stereotype fördern. Der Wiener Abgeordnete Ferdinand Kronawitter bezeichnete bereits Ende des 19. Jahrhunderts Antisemitismus als „Sozialismus des dummen Kerls“. Bildung ist in Deutschland zu sehr von der sozialen Herkunft abhängig – das muss sich ändern!

Doch die Zivilgesellschaft und die Kirchen sollten nicht auf die Politik warten. Es gibt viele künstlerische und kulturpädagogische Initiativen, die Mut machen. Eine vielfältige Kultur fördert eine Kultur der Vielfalt! Und da mich ja die Studienleiterin einer evangelischen Akademie interviewt: Es mag sein, dass Kirche in säkularen Zeiten nicht mehr unsere Gesellschaft prägt. Das hat sie in ihren Anfängen ja auch nicht. Aber Salz der Erde möchten Christinnen und Christen wahrscheinlich dennoch sein. – Also, Kirche, verschlaf es nicht!

 

Foto: Patrick Behn auf Pixabay

5 Kommentare zu “In der Wagenburg der Vorurteile”

  1. Dr. Hans-Christian Trepte schrieb am 14.06.2020 um 17:40 Uhr:
    Wie immer eine höchst inspirierende Diskussion. Ach dafür ein ganz herzliches Dankeschön. Es war auf einer Reise durch Mittelamerika, als ich in einer Kirche am Heiligen Abend ein ungewohntes schwarzes Jesu-Kindlein in der Krippe liegen sah. Ich erinnerte mich an ein wichtiges Buch aus meiner Kindheit, Ludwig Renns "Der Neger Nobi" (1955), das mich stark beeindruckt hatte. Heute würde man, sprachlicher Korrektheit folgend, das Buch wohl wegen des Begriffs "Neger" (Neger, Neger, Schornsteinfeger!) umbenennen (wollen). Ich hatte bei meiner Lektüre nichts, auch gar nichts Rassistisches entdecken können, vielmehr war mir Nobi zu einem wahren literarischen Freund und Begleiter geworden. In jener Kirche damals dachte ich darüber nach, weshalb Jesus nicht auch schwarz sein sollte und ich erinnerte mich des Weiteren an ein Krippenspiel, wo in der Krippe nicht ein Kindlein, sondern eine leuchtende Taschenlampe lag, was in der Gemeinde für heftige Diskussionen sorgte... Am Ende jenes Gottesdienstes in Mittelamerika umarmten uns, die Fremden, die Mitglieder der Regenbogen-Gemeinde und luden uns zu sich nach Hause ein... Ein unvergessliches Erlebnis. Und heute denke ich an deutschen den Naturforscher, Ethnologen und Weltumsegler, Johann Georg Adam Foster, der 1772 mit Cook eine Weltreise in die Südsee unternahm und dort die indigene Bevölkerung eingehend studierte . Dabei gelangte er zu der Erkenntnis, dass es zwischen den Menschen keine angeborenen Unterschiede gibt. Oft vergessen wir unsere eigene, deutsche Kolonialgeschichte, denn auch diese war verbunden mit Rassenhass und Völkermord. Mir klingt noch in den Ohren: "Hier geht es zu wie bei den Hottentotten" oder "was hörst du denn für Hottentottenmusik"... Marius Müller-Westerhagen nannte 2011 (sic!) sein Life-Album provozierend "Hottentottenmusik". Dabei ging es bei den Hottentotten um das Volk der Herero und Nama im ehemaligen Deutsch-Südwestafrika (heute Namibia), um den ersten von Deutschen begangenen Völkermord. Wir müssen uns vergegenwärtigen, wie wir bereits weit vor der nazistischen Rassentheorie und dem Holocaust mit Völkerhass und Rassismus umgegangen sind und welch unsägliche Rolle zum Teil auch die Kirche, nicht nur des "Stellvertreters" während der "Judenvernichtung", dabei gespielt hat. Hinzu kommt, dass wir auch eine östliche Variante der Reconquitas in deutscher, polnischer und russischer Form haben: die Unterjochung des zivilisatorisch wie menschlich (später rassisch) unterlegenen Ostens mit "Feuer und Schwert" unter maßgeblicher Beteiligung des Deutschen Ordens und der Kirche. Die christliche Mission richtete sich dabei nicht nur gegen ungläubige Heiden, Muslime, sondern auch gegen das aus Byzanz kommende christliche Licht der Orthodoxen. Es begann mit der Unterjochung der "minderwertigen" Slawen zwischen Elbe und Oder, der Ostslawen und Muslime (Türken und Tataren) durch Polen und Litauer wie auch der "Schwarzen" (gemeint sind hier die Dunkelhäutigen, Schwarzhaarigen, die Nichtrussen) und "Gelben" durch den bis heute existierenden russischen Kolonialimus und Nationalismus. Russland suchte und fand seine Kolonien eben nicht in Übersee, sondern in unmittelbarer ländlicher Nachbarschaft. Wir müssen also nicht bis nach Amerika oder Afrika gehen, den der von den aus Europa kommenden Buren (Kapholländern) in Südafrika geprägte Begriff der Wagenburg existiert, wie gzeigt, auch bei uns. In dieser Wagenburg sind zahlreiche Unbelehrbare geneigt sich gegen alles fremde, andersartige, nicht der "Norm" entprechende "Gelumpe" und "Viehzeug" (Lutz Bachmann ) zu verteidigen. Die Kirche ist mines Erachtens auch dazu aufgerufen, sich gegen Mitglieder bis hinauf zu einem ehemaligen Bischof, die sich rechtsradikal, nationalistisch wie homophob äußern eindeutitg zu distanzieren und eben nicht auf Konzilianz zu setzen, denn auch hier gilt es erneut: "Wehret den Anfängen!"
    • Olivier Elmer schrieb am 15.06.2020 um 10:08 Uhr:
      Vielen Dank für diesen Kommentar - zeigt er doch, wie willkürlich und irrational, teils von Machtstreben, teil von Angst getrieben, Menschen rassistische Unterscheidungen vornehmen! Gerade auch die Etikettierung slawischer Kultur als "minderwertig" hatte furchtbare Auswirkungen, bis in die Gegenwart ausstrahlend. Ein gern verdrängtes Kapitel deutscher Geschichte - wie auch die deutschen Kolonialverbrechen in Afrika.
  2. Olivier Elmer schrieb am 10.06.2020 um 08:47 Uhr:
    Zunächst kann die Kirche die ökumenische Zusammenarbeit mit Schwesterkirchen intensivieren, die sich seit Jahren in der Anti-Rassismus-Arbeit engagieren, z.B. mit der United Church of Christ in den USA, die bereits Partnerkirche der Union Evangelischer Kirchen ist. Aber wichtig ist auch, sich mit rassistischen Vorurteilen auf Gemeindeebene auseinanderzusetzen, die es dort - wie auf anderen gesellschaftlichen Ebenen auch - gibt. Die Bundesarbeitsgemeinschaft „Kirche und Rechtsextremismus“ etwa (https://bagkr.de/) bietet ein vielfältiges Netzwerk, auf das Gemeinden zurückgreifen können, um auf ihrer Ebene initiativ zu werden.
  3. Dr. Anke Schmidt schrieb am 09.06.2020 um 23:02 Uhr:
    Wieder einmal hervorragend beleuchtet, allerdings ist meine Neugier jetzt geweckt, was die Kirche konkret tun könnte! Diesbezüglich wünsche ich mir noch weitere Ausführungen (aber vielleicht kommen sie ja in einem weiteren Artikel?!)
    • Dr. Kerstin Schimmel schrieb am 10.06.2020 um 09:25 Uhr:
      Kirche kann zuerst einmal eins tun: sich auf Jesus Christus besinnen, dessen Botschaft und dessen Handeln. Sich erneut zu vergegenwärtigen, wie, wo und in welchen gesellschaftspolitischen Bezugsrahmen er gelebt und gewirkt hat, wäre hilfreich, auch um selbstkritisch Rassismus in den eigenen Reihen aufzudecken. Je näher wir in unserem eigenen Leben seiner Botschaft kommen, je mehr wir zuerst einmal bei uns selbst ausgrenzendes und entwürdigendes Handeln erkennen und vermeiden, desto authentischer können wir mit starker, lauter Stimme gegen Rassismus sprechen - was ich für unsere Pflicht halte. Heißt es doch bereits bei Mose: "Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst."

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