Nachrichten

Minuten bei Gott – Engel im Abstand


8. April 2020

Von Stephan Bickhardt

 

Gott,
du bist bei mir,
du bist bei uns,
wir verstehen nicht alles.
Unbekannte schützen uns
mit ihrem Verhalten vor Erkrankung.
Leiden und Kreuztragen sind schwer,
doch Engel bereiten den Weg.
Gott,
wir hoffen mit dir auf Zukunft,
wir befehlen dir an
die Namen der Lieben,
Fremde und Flüchtlinge
und die Alten mit den Kindern.
Amen.

 

Über die Engel

Vor ein paar Tagen sagte mir eine Frau, es sei nicht ausgemacht, was die konkreten Umstände der Kontaktbeschränkungen langfristig bewirken. Es entspricht nicht der normalen Gefühlslage des Menschen, eine Gefahr im Blick auf die Nächsten abzuwehren, indem 2 Meter Abstand gehalten und dabei nur wenige, empfohlen nur zwei Menschen beieinander sind. Die gängige Art miteinander umzugehen, ist die Zuwendung, ist Mitgefühl, ist der Weg zum kranken Kind, zur traurigen Freundin, zum betagten Großvater.

Wir sind möglicherweise auf dem Weg zu einer erstaunlichen Erfahrung, dass nämlich ein allgemeines Ethos trägt für eine dringende Schutzmaßnahme. Und hier ist eine zweite Besonderheit zu beobachten, dass gerade der Einzelne durch sein Verhalten dazu beiträgt, andere nicht anzustecken mit dem Virus, wie eben auch jede und jeder darauf angewiesen ist, dass andere verantwortlich sind und sich an die allgemeinen Regel halten und niemanden in Gefahr bringen!

Im Blick auf alte Menschen ist eine ganz besondere Verantwortung gefragt. Es gehört zu den erstaunlichsten Erfindungen, wie jetzt etwa per Skype Enkel mit ihren Großeltern zusammen sind. Aber oftmals ist das für alte Menschen nicht möglich.

Wahrscheinlich ist, dass wir nach der schrittweisen Lockerung der Beschränkungen eines Tages mit tief empfundener Freude schätzen, auf Mitmenschen unbefangen zugehen zu können und dass sich dieses Wort der Lehrtextes für den heutigen Tag eindrücklich bewahrheiten wird: EURE TRAURIGKEIT SOLL ZUR FREUDE WERDEN – Johannesevangelium 16,20.

Die christliche Erfahrung des Aushaltens und Mitleidens, der Empathie und der Fürsprache ist sehr gefordert und unter dem Blick des Kreuzes zugleich getragen von einer Hoffnung auf Überwindung. Wer also wartet und erwartet, wer leise und klar und mitfühlend und wissend um die gebrochene Geschöpflichkeit des Menschen durch das Leben geht, findet schon jetzt stille oder auch mal laute Freude. Menschen sitzen womöglich im Garten oder am Wegesrand, hören das Lied der Vögel und wissen, dass viele traurig sind – und unser Mitfühlen mit dem Leidensweg Jesu mitten in der Sonne des Frühlings 2020 wirkt wirklichen Segen in uns.

Der polnische Dichter und Literaturnobelpreisträger Czeslaw Milosz schließt sein Gedicht „Von Engeln“ mit den Zeilen:

Ich vernahm diese Stimme manchmal im Traum/ Und, was noch seltsamer ist, ich verstand ungefähr/ Ihren gebietenden Ruf in überirdischer Sprache:
bald ist der Tag
noch einer
tu was du kannst.
(Übersetzung Ludwig Mehlhorn)

Es ist, liebe Freunde der Akademie, ein erhebendes Bewusstsein in schwieriger Zeit mit den Zwischenwesen des Himmels (Karl Barth) zu rechnen. Gott sendet eine Weise der Mitmenschlichkeit unter uns, die wir so noch nicht kannten. Die Engel der Freude treten mitten ein in unseren spärlichen Alltag. Der Abstand und die Beschränkung können bisweilen das Antlitz Gottes uns sichtbar machen – und wir verstehen, was wir bisher nicht verstanden haben. Das könnte zu einer erstaunlichen Erfahrung werden, einer gemeinsamen.

Foto: Pexels auf Pixabay

Beteiligen Sie sich an der Diskussion

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.