Nachrichten

Schreibwerkstatt mit Folgen …


3. Dezember 2020

Gespräch mit der Schriftstellerin Ulrike Loos

Dr. Kerstin Schimmel: Im Sommer 2019, als wir alle von Corona noch nichts ahnten, hast Du in Deiner Gruppe während der Meißner Schreibwerkstatt darüber fabuliert, wie man es anstellt, nicht von seiner Wolke beziehungsweise aus allen Wolken zu fallen… . Daraus ist nun ein “Kleines Traktat für Wolkenreisende“ entstanden, in dem es um Leichtigkeit, Bewegtheit und Zuversicht geht und um die Verbindung mit dem, was über unser zuweilen gebeuteltes Alltags-Ich hinausgeht. Es geht um das gute, das ganz eigene Leben. Darum, die Sehnsüchte ernst zu nehmen, mutig das Träumen und das Tun zu wagen. Und darum, unser Lebensglück wertzuschätzen und zu erhalten und auch Abstürze und Blessuren zu ertragen. Sieben Monate später sind wir „aus allen Wolken“ gefallen, sind beschwert durch Covid-19, haben Ängste und zum Teil Wut im Bauch und sehnen uns nach Begegnungen von Mensch zu Mensch – nach einem analogen Gegenüber. Kommt das federleichte „Traktat für Wolkenreisende“ da nicht zur falschen Zeit?

Ulrike Loos: Oh nein. Gerade jetzt ist es doch wichtig, an dem festzuhalten, was vorhanden und möglich ist. Für mich selbst ist es ganz hilfreich, aufmerksam wahrzunehmen, was mir Kraft und Halt gibt: Das Vogelgezwitscher in den Hecken, Kerzenlicht am dunklen Morgen, Musik (wenn zur Zeit auch leider nicht in den Konzertsälen), Basteln, Schreiben. Wenn mir Brust und Seele eng werden, suche ich in offenen Landschaften oder am See nach Weite und der spirituellen Verbundenheit mit dem, was größer als das ist, was mich quält. Manchmal koche ich mir auch einfach einen  Schokoladenpudding.

Du sprichst unsere Sehnsucht nach Begegnung an. Ich glaube, dass es vor allem in unseren Beziehungen jetzt ganz besonders auf achtsame und geduldige “Wolkenpflege” ankommt. Ich erlebe in meiner Arbeit als Psychotherapeutin, aber auch im Freundeskreis, dass sich Menschen zurückziehen, weil sie sich unverstanden fühlen – einige auch aufgrund von Meinungsverschiedenheit zur Pandemie und den Maßnahmen – oder in eine Art ängstliche Starre verfallen, weil sie unsicher  bezüglich ihrer Handlungsspielräume und der Krankheitsgefahr sind. Manche versinken auch in Isolation, Einsamkeit, Passivität. Unter diesen erschwerten Bedingungen braucht das Miteinander so viel mehr unsere Aufmerksamkeit, unsere liebevolle Zuwendung, aber auch gegenseitige Toleranz. Jemand, den wir seit Jahren kennen und schätzen, ist nicht plötzlich bescheuert, nur weil er oder sie anders als wir mit dieser nie zuvor dagewesenen Situation umgeht. Aufeinander zugehen, zuhören, sehen, wo uns jemand braucht, das ist jetzt Gebot der Stunde. Aber auch: die Verantwortung für mich selbst und meine eigenen Bedürfnisse anzunehmen, mich in meinen Wünschen und meinen Grenzen selbst zu respektieren. Festhalten, was uns hält, heißt es dazu im Traktat. Also was mich und meine Nächsten, unsere Gesellschaft, unsere Erde hält. Halten und pflegen. Das ist immer Aufgabe, aber jetzt ganz besonders.

Dr. Kerstin Schimmel: Festhalten, was uns hält, hieße dann auch, sich für 2021 positive Wegmarken zu setzen und sich, optimistisch gestimmt, zum Beispiel auf die Meißener Schreibwerkstatt „Landpartie“ vom 9. bis 12. Juli zu freuen und bis dahin, wie es das Traktat vorschlägt, mutig und kreativ unsere Möglichkeiten und Zwischenräume zu nutzen.

Ulrike Loos: Kleines Traktat für Wolkenreisende. 5 Tipps, um einen Absturz zu vermeiden und Überlebenshilfe für den Not-Fall. Mit Illustrationen von Katja Enders-Plate. Edition Hamouda, 11.90 €

Beteiligen Sie sich an der Diskussion

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.