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Sophie Scholl zum 100. Geburtstag


17. Mai 2021

Von Stephan Bickhardt

Mit dem 9. Mai jährte sich der 100. Geburtstag der Philosophie- und Biologiestudentin Sophie Scholl. Die Evangelische Akademie gedachte mit einem wissenschaftlichen Studientag ihres Widerstandes gegen Krieg und Nationalsozialismus in der Weißen Rose am Tag nach ihrem Geburtstag.

Sophie Scholl war eine tief gläubige Frau. Ihre zahlreichen Briefe und Tagebucheintragungen zeugen davon. Es sind insbesondere zwei Briefe, die als theologische bezeichnet werden können. Der eine befasst sich – man staune – mit der Sündenlehre des Apostel Paulus. Sie wirft dem Ungeist des Nationalsozialismus vor, er verkenne die Sündhaftigkeit des Menschen und sei gerade deshalb ungebremst in seinen Verbrechen. Jener ausführliche Gedankengang gehört sicher zu den beeindruckendsten christlichen Zeugnissen jener Zeit.

Ich möchte heute aber den zweiten theologischen Brief vorstellen –  über das Gebet. Sophie schreibt an ihren Freund Fritz Hartnagel am 18. November 1942: „Gegen die Dürre des Herzens hilft nur das Gebet, und sei es noch so arm und klein.“ Und zwei Absätze weiter öffnet sie ihr Herz: „Ich bin Gott noch so ferne, dass ich ihn nicht einmal beim Gebet spüre. Ja, manchmal, wenn ich den Namen Gottes ausspreche, will ich in ein Nichts versinken. Das ist nicht etwa schrecklich, oder schwindelerregend, es ist gar nichts – und das ist noch viel entsetzlicher. Doch hilft dagegen nur das Gebet, und wenn in mir noch so viele Teufel rasen, ich will mich an das Seil klammern, das mir Gott in Jesus Christus zugeworfen hat, und wenn ich es nicht mehr in meinen erstarrten Hände fühle.“ Und weiter schreibt sie ihrem Freund: „Ich bitte Dich: denke an mich in Deinem Gebet; ich will dich auch nicht vergessen.“

Liebe Besucherinnen und Besucher! Das innerliche aneinander Denken in schwerer oder auch in froher Zeit, dieser Moment des Umschwungs vom Grübeln über mich selbst zu diesem ganz für den anderen bitten, kann ein Einstieg sein in das Gebet und die Begegnung mit Gott. Das Seil ist ausgeworfen und wir sehen in unserer Andacht auf das Kruzifix über dem Lettner des Domes. Das Seil ist ausgeworfen, jemand hat gänzlich die Bitte für uns Menschen gelebt.

Genau in jenen Novembertagen, als Sophie diesen Brief schrieb, trat sie in München in den aktiven inneren Kreis der Widerstandsgruppe Weiße Rose ein. Die Bitte um den Nächsten und seinen Frieden wirkte nun ins Konkrete. Am 5. Flugblatt der Weißen Rose schrieb sie mit. Es endet mit den Worten: „Freiheit der Rede, Freiheit des Bekenntnisses, Schutz des einzelnen Bürgers vor der Willkür verbrecherischer Gewaltstaaten, das sind die Grundlagen des neuen Europas.“

Sophie Scholl betet, liebt in den Kirchen insbesondere die Orgelmusik, sitzt selbst am Spieltisch, geht in mancher Woche täglich in die Kirche, kniet vor dem Altar und schreibt diesen Satz über das neue Europa. Einige Flugblätter wurden in einem freien verborgenen Raum hinter der Orgel der Martin-Luther-Kirche Ulm, der Heimatstadt von Sophie, gedruckt. Auch hinter der Orgel im Meißner Dom ist ein Raum frei. Lassen wir es bitte einen Moment zu: niemand käme in unserem Land heute auf die Idee, Flugblätter hinter einer Orgel zu drucken. Wie sind wir doch befreit von Gewissensnot und Krieg, nicht alle.

In den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts wurden im Union-Verlag und in der Evangelischen Verlagsanstalt mit ertrotzter staatlicher Druckgenehmigung zahlreiche Bücher zum sogenannten bürgerlichen und christlichen Widerstand gedruckt. Sophie Scholl, Helmuth James Graf Moltke, andere mehr. Ein ganz wichtiger Moment war dies für die geistig verarmte ostdeutsche Gesellschaft. Ich schrieb damals einen Aufsatz, der im Untergrund zirkulierte und der Frage nachging: „ist es erlaubt, uns mit diesen Worten aus unserer Verschwiegenheit und Stummheit zu reißen“?

Betende und bittende Menschen finden Worte und der Mensch darf Gott sagen, ich weiß es nicht. Aber eben sprechen. So finden sich Antworten. Und der Mut stellt sich auch heute ein zu widersprechen – am wichtigsten: jedweder antieuropäischen Attitüde widersprechen. Denn es ist möglich, in diesem Widerspruch Menschen zu lieben, die bei Pegida oder der AfD mitgehen wollen.

Sophie Scholl schreibt in ihrem Brief an ihren Freund Fritz: „Ja, könntest Du dort einmal in eine Kirche gehen und am Abendmahl teilnehmen. Welche Trost- und Kraftquelle könnte dir das sein.“ In jedem Moment des Lebens ist es möglich Gott zu begegnen, liebe Besucher, – und die Dürre des Herzens unter Himmel und Gewölbe tränken zu lassen.       

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