Vertrauen beruht auf Verlässlichkeit. Das betrifft jede Beziehung, also auch Familien, und jede Bildungs- oder Jugendarbeitssituation. Ein Vertrösten auf „gleich“, „nachher“, „warte noch kurz“ oder „später“ wird ein junger Mensch von den Eltern vielleicht einige wenige Male erdulden. Danach aber nicht mehr, er fordert Präsenz ein. Ähnlich, womöglich mit einer noch geringeren Toleranzgrenze, trifft dies auf den Schulalltag, in Heimen, in der Jugendarbeit und den Beratungsstellen zu.
Vertrauen und Verlässlichkeit bedeuten auch, Zeit haben zu müssen und zu können. Vertrauen und Verlässlichkeit sind Elemente unseres Miteinanders und stützen das, was gemeinhin als Soziales verstanden wird und eine gesellschaftliche Grundkomponente ist. Gerät diese durch eine Verhaltensauffälligkeit (z. B. laute Jugendliche), besondere Lebenslagen (z. B. Kinderarmut) oder gar eine Krise (z. B. Fachkräftemangel) in den Blick, erleben wir in der Folge das Miteinander als Herausforderung und erkennen, dass eine politische Steuerungsnotwendigkeit entstanden ist.
In den ersten Wochen der Corona-Pandemie haben unzählige Akteure in Politik und Verwaltung in einem beachtens- und dankenswerten Kraftakt sehr viel ermöglicht. Zwar stand zu Recht die Notwendigkeit im Fokus, mit der Wirtschaft eine weitere gesellschaftliche Komponente zu stärken. Ein Schutzschirm für Unternehmen und Arbeitnehmer war in aller Munde.
Doch zunächst schien es, dass die andere Komponente, das Soziale, erst in einem zweiten Schritt in den Blick genommen wurde. Nur so lassen sich dann die entschiedenen Stellungnahmen der Wohlfahrtsverbände und anderer Dachorganisationen der Jugendarbeit noch in der vierten und fünften Woche der einschneidenden und notwendigen politischen Corona-Entscheidungen verstehen. Und in Tarifverhandlungen waren Mitarbeitende des Sozial- und Erziehungsdienstes zunächst gar ausdrücklich ausgeschlossen.
Die Corona-Einschränkungen galten auch für junge Menschen. Auch Kinder und Jugendliche haben einen gleichwertigen Anteil daran, dass unser Gesundheitssystem bis jetzt nicht überlastet wurde. Denn auch sie haben auf ihren gewohnten Alltag verzichtet, auf das Spielen und Lernen an gewohnten Orten und in den üblichen Tagesabläufen, auf Begegnungen mit Verwandten und dem Freundeskreis, auf Hobbys, auf ausreichend Bewegung. Ältere haben sich nicht selten mit der Übernahme von Ehrenämtern konkret eingebracht.
Diese schlichte Tatsache zeigt, dass auch junge Menschen von Entscheidungen, Zuständen und Entwicklungen in unserem Land gleichermaßen betroffen sind. Demnach kann Kinder- und Jugendpolitik kein nachgeordnetes oder in Teilen freiwilliges Feld sein. Vor allem nicht, wenn die Bedingungen des Aufwachsens Grundlage für den weiteren Lebensverlauf sind und in der Folge das gesellschaftliche Miteinander aller prägen.
Während der zurückliegenden Wochen haben wir sehr aufeinander geachtet und versucht, alle im Blick zu haben und füreinander da zu sein. Wir Erwachsenen haben viel davon erlebt, was im Alltag junger Menschen und in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen häufig die Perspektive ist. Wir haben nicht nur erlebt, was uns fehlt, sondern auch, was möglich ist. Machen wir doch genau damit weiter und stärken diesen Prozess.
Wir haben uns Sorgen gemacht. So sind in den letzten Wochen ad hoc zahlreiche Kampagnen und hilfreiche Tipps für den Kindesschutz entwickelt worden. Denn wir wissen, wie fragil dieser sein kann, auch ohne Corona. Daher müssen wir den Schutz von Kindern noch mehr stärken. Sofort war vielen Verantwortungstragenden klar, welche Schwierigkeiten für diejenigen jungen Menschen zusätzlich durch die Corona-Maßnahmen entstehen, die in ökonomisch schwierigen Lebenslagen nun den Alltag und das Lernen meistern sollten.
Also sollten wir nach Corona deutlich unsere Aufmerksamkeit auf die Minderung von Armut lenken, denn wir wissen um die Auswirkungen und die fehlenden Teilhabemöglichkeiten. Wir haben erfahren, wie notwendig unser Bildungssystem ist und wie hilfreich zugleich die Digitalisierung sein kann. Vor allem im Bereich der Digitalisierung sind junge Menschen den älteren nicht selten im Wissen voraus. Also müssen jetzt erst recht die Schwächen im Bildungssystem zügig gemindert und muss in der Digitalisierung vorangeschritten werden.
Wir haben bestätigt bekommen, dass Jugendarbeit und Jugendbildung nicht nur in Jugendclubs, Schulsozialarbeit oder anderen Formen der konkreten Begegnung wichtig ist, sondern dass diese auch in digitalen Varianten umgesetzt und in essenziell schwierigen Lebenslagen auch begleitend möglich ist. Daher sollte in Zukunft der Erfolg von außerschulischer Bildung weniger in zählbaren anwesenden jungen Menschen im Jugendclub vor Ort gemessen werden, sondern vielmehr eine Angebotsvielfalt, auch und gerade im ländlichen Raum gestärkt werden. Wir konnten beobachten, mit welcher Skrupellosigkeit demokratiefeindliche Kräfte vor allem im digitalen Raum die Pandemie ausnutzen und wie stark eine Gesellschaft damit umgehen kann, wenn sie kompetent Medien- und Demokratiebildung erfahren hat. Wir erleben gerade, wie wichtig und verbindend Kultur nicht nur zu Hause, sondern auch in Form von vielfältiger kultureller Bildung, Konzerten, Kinos etc. ist.
Auch deshalb ist ein breiteres und für alle jungen Menschen zugängliches kulturelles Angebot durch mehr Förderung, mehr Soziokultur und mehr Digitalisierung nötig. Und wir haben erlebt, wie sehr wir die Möglichkeit vermissen und wie sehr wir Orte der Begegnungsmöglichkeiten sonst benötigen. Ebenso haben wir uns bei all den Gutachten und Empfehlungen für eine Rückkehr in die Normalität häufig gewundert, wer dort alles nicht gefragt wurde oder sich in die Prozesse nicht einbringen konnte.
Fehlende Einbindung und Mitwirkung ist auch eine Perspektive, die junge Menschen sehr oft erfahren. Nicht nur in unserem Gesundheitssystem ist das Wissen um fehlende Fachkräfte zur gelebten Realität geworden, auch auf die Kinder- und Jugendhilfe trifft dies schon lange zu. So, wie eine jede Person auf verlässliche private und soziale Netzwerke angewiesen ist, benötigen junge Menschen auskömmliche und verlässlich finanzierte Jugendarbeit und Bildungswege. Dazu gehören der notwendige Wertekanon, unterschiedliche Konzepte und Methoden sowie eine Trägervielfalt, frei von ständigen Finanzierungsdebatten oder sich hinauszögernden Fördermittelbescheiden.
In der Arbeit mit jungen Menschen wurde in der Corona-Pandemie sehr viel geleistet. Aufgrund dieser Erinnerung sollten wir nicht nur darüber sprechen, dass und wie die Wirtschaft wieder hochgefahren werden muss, sondern auch stets die Frage beantworten, ob unser tägliches Handeln kind- und jugendgerecht ist. Und so, wie wir derzeit eine wissenschaftsbasierte Politik erleben, haben wir auch ausreichend vorhandenes, wissenschaftlich fundiertes Wissen, um notwendige Prozesse und Entscheidungen auf den Weg zu bringen, die eine vertrauensvolle und verlässliche Begleitung junger Menschen ermöglichen. Einmal mehr haben wir sehr deutlich erfahren müssen, was und wer alles unser Miteinander trägt. Und wir wissen, was wir benötigen, um teilhaben zu können, anerkannt zu sein, um uns wohlzufühlen und glücklich zu sein.
Was ist vor diesem Hintergrund unser zukünftiges Verständnis von einer sozialen, wirkungsvollen und „rentablen“ Kinder- und Jugendpolitik? Es geht weniger darum, aus Fehlern zu lernen, sondern aus der Corona-Situation zu lernen und uns wieder neu auf die Arbeit mit jungen Menschen besinnen.
Den Beitrag in der Sächsischen Zeitung lesen Sie als pdf hier