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Auf der Home-Office-Insel


30. März 2020

Was passiert, wenn wir ganz eng beisammen sind? Fragen an den Psychologen Dr. Olivier Elmer

Von Dr. Kerstin Schimmel

 

Letzte Woche sprachen wir über Einsamkeit – aber viele Menschen erleben derzeit auch das Gegenteil: drangvolle Enge, wenn z.B. beide Partner im Home-Office sind und die Kinder keine Kita-Betreuung haben. Wie sieht der Psychologe das?

Dr. Olivier Elmer: Das ist eine echte Herausforderung. Vor allem auch deshalb, weil sich viele mit der Erwartungshaltung unter Druck setzen, wie schön es doch sein müsse, als Paar, als Familie jetzt mehr Zeit miteinander verbringen zu können. Doch Paare und Familien haben fein abgestimmte Rhythmen und eingespielte Muster, wie sie miteinander umgehen. Jede und jeder hat quasi ein Budget, in dem Autonomie und soziale Pflichten austariert sind. Da kann es schon mal krachen, wenn wie bei Loriot plötzlich „Papa (oder Mama) ante portas“ ist.

 

Was rätst Du in einem solchen Fall?

Dr. Olivier Elmer: Es sollten sich zunächst alle eingestehen, dass es nicht nur schön, sondern auch stressig ist, eng zusammen zu sein. Dass es – auch in christlichen Familien, die oft besonders Harmonie anstreben – normal ist, wenn es mal laut wird, weil eine Tür geschlagen wird oder jemand gereizt die Stimme hochdreht.

Wichtig ist in solchen Auseinandersetzungen, nicht ewig zu schmollen, sondern gemeinsam zu überlegen, was genau zum Konflikt geführt hat. Dann ergibt sich nämlich die Chance, neue Regeln auszuhandeln, wie – bei begrenzten Möglichkeiten – trotzdem jeder und jede seinen Freiraum haben kann. Wer sich in solchen Situationen mal zwei Stunden den Kopfhörer aufsetzt, um sich „wegzubeamen“, handelt nicht autistisch, sondern schützt sich selbst. Und wenn gemeinsam gegessen wird, darf der Koch oder die Köchin ruhig mal vorher die Küchentür zu machen, um alleine meditativ im Topf zu rühren.

 

Manchen erscheint es ja erstmal wie Urlaub – aber so ist es ja nicht, oder?

Dr. Olivier Elmer: Der Tag sollte eine Struktur haben, es sollten Aufgaben erledigt werden – im Haushalt, für die Arbeit, die Schule… Den Kindern muss dabei liebevoll, aber klar vermittelt werden, dass es keine Urlaubssituation ist, in der die Eltern für die Dauerbespaßung zuständig sind. Solche Tagespläne, kindgerecht gestaltet, können helfen, sich als Familie zu organisieren – auch wenn nicht zu erwarten ist, dass sie perfekt funktionieren. Doch in allen Situationen hilft Humor – über sich selbst gemeinsam lachen zu können, macht stark!

 

Konflikte, wie Du sie schilderst, sind uns ja prinzipiell aus dem Alltag vertraut, wenn auch nicht so zugespitzt. Kann es denn auch zu ernsthafteren psychischen Problemen kommen?

Dr. Olivier Elmer: Aus Daten des psychologischen Dienstes der chinesischen Stadt Wuhan wissen wir, dass Quarantäne vermehrt zu Angst- und Schlafstörungen führt. Und da emotionaler Stress oft zu körperlichen Reaktionen führt – wie Herzklopfen, Atemnot, Engegefühl in der Brust, Magen-Darm-Beschwerden oder Schwindel -, sind auch psychosomatische Beschwerden häufig. Der Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen hat deshalb eine ehrenamtliche Corona-Hotline eingerichtet (https://www.presseportal.de/pm/115161/4555449). Hier können Menschen sich täglich kostenfrei, auch anonym, Rat holen.

 

In der kommenden Woche stellt Dr. Kerstin Schimmel die Frage, was die Medienflut in Zeiten von Corona mit uns macht.

Foto: Lukas Bieri auf Pixabay

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