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Minuten bei Gott – Corona-Blues


3. April 2020

Von Stephan Bickhardt

 

Gott, der du die Güte zeigst,
der Rhythmus des Lebens
ist durcheinander,
der Weg zur Arbeit
ist erschwert,
die Hochbetagten
sind einsam,
die Armen fürchten
um das Leben.
Die Zeit der besonderen Prüfung ist lang.
Willst du, dass wir den Grundton
der Geduld einüben?
Fragen haben wir.
Hilfe suchen wir.
Froh sind wir über die Musik,
den Gesang, deine Lieder.
Bitte überwinde mit uns Traurigkeit
und Schmerz.
Amen.

 

Über den Blues

Der Bus ist in der Dämmerung angekommen an der Endhaltestelle. Die Linie 106 führt übers Land. Der Fahrer schaltet die elektronische Anzeigetafel auf „Dienstfahrt“. Dann zieht er den Koffer hinter seinem Sitz hervor und packt die Gitarre aus. Er sucht sich einen Platz im leeren Raum – wo die Sitze einander gegenüber stehen. Er schlägt das rechte über das linke Bein und hört nicht auf zu spielen.

Akkorde höre ich und wie stark der Fahrer die Bassseite anschlägt. Blues. Versonnen schaut er dabei seelenruhig aus dem Fenster. Ich schleiche um den Bus herum, höre zu, dann lächle ich ihm zu, winke, dann sage ich: danke. Der Fahrer gestikuliert, ich solle doch mal kommen. Unterwegs bin ich im Nahbereich des Hauses, der Sonnenuntergang taucht die Glasscheiben des Busses in das dämmrige Abendlicht. Der spielende Busfahrer geht in seine Kabine, per Knopfdruck öffnet er die hintere Tür.

Wir unterhalten uns, ich stehe auf der Straße, er in seinem Bus, die Gitarre hatte er auf dem Sitz liegen lassen.

Liebe Freundinnen und Freunde, DIE FRUCHT DES LICHTS IST LAUTER GÜTE UND GERECHTIGKEIT UND WAHRHEIT. Diese Worte stehen im Brief an die Gemeinde der Christen in Ephesus 5,3. Der Busfahrer erzählt: bis in die 90er-Jahre hinein habe er in einer Bluesband gespielt. Seine Augen sind voll Freude und Güte, wie er so erzählt. Und dann weiter: Für mich ist es ein Glück Busfahrer zu sein, ich spiele jeden Tag Gitarre in der 25-Minuten-Pause.

Frage: schon immer? Antwort: Na klar, schon vor Corona, falls Sie das meinen. Und nun folgt eine Predigt voller Mitgefühl, ein Blues der Liebe und Solidarität. Der Busfahrer spricht über die Tagelöhner in Indien und New York, über das Sterben an Covid-19 in New Orleans, der Heimatstadt seiner Musik. Blues. Er spricht von der ganzen Schwere der Leiden der Armen, dann von seiner eigenen angegriffenen Gesundheit, dies aber in einer tiefen Dankbarkeit, wie ihm geholfen wird. Stellen Sie sich vor, sagt er dann weiter: Für mich gibt es bald Kurzarbeitergeld, die Busgesellschaft legt dazu, auf 80% des Lohnes. Ich denke leise, 100% wären richtig. Der Gitarrist stahlt lauter Güte aus und spricht die Wahrheit.

Der Blues ist schwer und Freiheitsgesang des 19. und 20. Jahrhunderts. Die Befreiung aus der Sklaverei und vom Rassismus, dieses sehnliche Wünschen aus großer Bedrückung herauszukommen, brauchte diesen Anfang: Blues. I feel blue, ich bin traurig. Manchmal ist es einfach nur heilsam, das Schwere auszusprechen und dann kann das Licht der Güte gesehen werden im Antlitz des anderen.

Wer die Finsternis verlässt, findet sich im Licht wieder. Wer der Aussichtslosigkeit nicht das letzte Wort gibt, kann Jesus Christus nur als einen Gewinn sehen. Seine Worte sind Lichtstrahl. Früchte seines Lichtes sind möglich, das ist wahr. Darum sind wir berufen zu prüfen. Wenn nichts bleibt, wie es ist, dann käme es doch darauf an, dass das, was sich verändert, in seinem Sinne geschieht. Das geschieht nicht ohne Gemeinschaft – Gemeinschaft ist Grundmodell christlichen Lebens. Sie beginnt zu zweit. Dem Busfahrer habe ich nach seiner Predigt gesagt: Sie sind ein Engel für mich heute.

In seinen Augen zeigte sich nicht die leiseste Regung eines Widerstands.

Foto: Joey Nicotra/Unsplash

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