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Minuten bei Gott – über Erniedrigung


9. September 2020

Von Stephan Bickhardt

Gott,
im Psalm heißt es,
du hast uns wenig niedriger gemacht
als Gott,
den Schöpfer.
Aber: Wie oft fühlen sich Menschen erniedrigt,
gedemütigt.
Wie sehr verlangen Menschen nach Beachtung,
Anerkennung.

Stärke den Mut von unten zu beginnen,
von vorn.
Stärke die Freigiebigkeit,
die Seele soll nicht verkümmern.
Hilf großmütig und großzügig zu sein,
konsequent und klar.
Dein Sohn Jesus hat die negative Seite
des Menschen angenommen.
Schau ich auf ihn,
weiß ich um den Weg zu Neuem.
Amen.

Der Sommer geht zu Ende. Viele konnten sich erholen. Reiseziele wurden verändert. Und es wurden Bücher gelesen. Albert Camus, Die Pest, 1947 geschrieben, nahm ich zur Hand. Camus erzählt vom aufopferungsvollen Kampf des Arztes Dr. Rieux gegen die um sich greifende Pest in der Stadt Oran.

Unter seinen Freunden ist der Priester Paneloux. Der predigt wortgewaltig von der Buße. Aber angesichts eines sterbenden Kindes hört er den Ruf zur Tat und leitet fortan eine Sanitätsstation. In einer Predigt während der Pestzeit gibt er die neue christliche Haltung wieder. Albert Camus legt dem Pfarrer folgende Worte in den Mund: „Der Pater sagte in diesem Augenblick, dass die Tugend der völligen Annahme, von der er sprach, nicht in dem beschränkten Sinne verstanden werden durfte, den man ihr gewöhnlich gab, dass es sich nicht um die einfache Ergebung handelte und nicht einmal um die schwierige Demut. Es handelte sich um Erniedrigung, aber um eine Erniedrigung, in die der Erniedrigte bewusst einwilligte.“

Erniedrigung – dieses Wort hat einen negativen Klang. Es ist schrecklich, wenn Menschen erniedrigt werden oder sich erniedrigen lassen. Pater Paneloux spricht von Erniedrigung, in die der Erniedrigte bewusst einwilligt. Er erniedrigte sich selbst/ und ward gehorsam bis zum Tode,/ ja zum Tode am Kreuz. So heißt es in einem alten Lied, das der Apostel Paulus schon in den ersten Gemeinden mitgesungen hatte (Brief an die Philipper 2, 8). Jesus Christus verbarg den Menschen nicht den Willen Gottes, er begab sich unter sie, obwohl es gefährlich für ihn wurde. Aufrecht und klar unterstellen sich heute Menschen anderen – Not leidenden und politisch Verfolgten, in Honkong, Minsk.

Ein Beispiel aus der Seelsorge: Der Patient lebt in mitten seiner unruhigen Familie. Er ist zu Hause für die letzten Lebenstage. Die Kinder kreisen aufgekratzt um das Patientenbett. Er steht noch einmal auf. Und im Rollstuhl schafft er es bis auf die Terrasse. Die Sonne scheint. Unter den Bäumen sagt er leise: das wird mein letzter Sommer sein. Der Seelsorger erhebt sich aus seinem Stuhl. In einer unüberlegten Handlung legt er sich auf die nebenstehende Bank, liegt nun niedriger als der Patient sitzt. Und der erzählt, von den vergangenen Sommern, Freude steigt auf. Er ist noch einmal über allem. Am Ende sagt der Mann: ich möchte über meine Beerdigung sprechen. – Die „immerwährende Frage nach dem Sein“ (Charles Ives) bedeutet tatsächlich: Es gibt weiterhin unbeantwortete Fragen des Menschen. Und es bleiben die Antworten des christlichen Glaubens: Ergebung, Demut und ein sich Unterstellen unter den anderen aus freiem und starkem Willen.   

Foto: skeeze auf Pixabay

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