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Corona: Soziale Kosten und soziale Folgen


29. März 2021

Auswirkungen auf die Jugendhilfe – ein Interview mit Severine Thomas vom Institut für Sozial- und Organisationspädagogik der Universität Hildesheim

Christian Kurzke, Evangelische Akademie Sachsen: In den Medien kommt derzeit fast ausschließlich die Situation der Kitas und Schulen vor. Weshalb ist der Blick auf die Jugendhilfe auch ebenso wichtig, welche Relevanz haben die Einrichtungen für junge Menschen?

Dr.‘in Severine Thomas: Lieber Herr Kurzke, mit der Dauer der Pandemie und wenig Flexibilität in der Handhabung der Hygiene- und Infektionsschutzmaßnahmen wird die Situation für junge Menschen immer schwieriger. Sie sind – wieder bzw. immer noch – aus dem öffentlichen Raum weitgehend verschwunden. Sie bewegen sich verunsichert und kaum noch in sozialen Gruppen auf der Straße oder in außerschulischen Institutionen.

Es ist aber nicht egal, wie sich die Jugend- und die Kommunalpolitik dazu verhält. Es ist davon auszugehen, dass diese noch nie so unmittelbar und direkt auf den Jugendalltag eingewirkt hat wie jetzt. So macht es einen großen, direkt spürbaren Unterschied für das Wohlbefinden der jungen Menschen, ob neben der Schule Infrastrukturen in Kommunen verlässlich unter den vereinbarten Pandemie-Bedingungen geöffnet sind und weiterhin Angebote für junge Menschen vorhalten oder nicht. Denn die Entwicklungs- und Bewältigungsaufgaben von jungen Menschen können während der Pandemie nicht einfach so ins Private verlagert werden!

Es wird Folgen haben, wenn junge Menschen weiterhin von öffentlichen gesellschaftlichen Orten, selbst privaten Treffen mit Freunden, ausgeschlossen bleiben. Junge Menschen haben einen Vertrauensverlust in die Politik erkennen lassen – so ist ihre Einschätzung, von politischen Entscheidungsträger*innen gehört zu werden, zwischen den Studien JuCo I und II gesunken. Das kann als eine Ernüchterung gewertet werde, dass junge Menschen derzeit nicht sehen, dass ihre Belange z. B. im Vergleich zu wirtschaftlichen Interessen großer Unternehmen im Verlauf der Pandemie an Bedeutung zunehmen.

Wie wurden in Anbetracht dieser Bedeutung junge Menschen an Entscheidungen während der Pandemie beteiligt, denn es betrifft ja sehr deutlich ihren Alltag? Und was löst dies bei ihnen dann aus, auch mit Blick auf die Zeit nach der Pandemiekrise?

Sie sehen sich um wichtige Jahre ihres Lebens gebracht, um Chancen und wichtige Ereignisse wie Abschlussjahre in der Schule, Abschlussfeiern, Praktika, Auslandserfahrungen, die sich nicht nachholen lassen. Es sind nicht Luxusprobleme, auf die sich dieser Verlust reduzieren lässt, sondern auf Erfahrungen, die für Teilhabe und Verantwortungsübernahme bei gesellschaftlichen Aufgaben eine wichtige Rolle spielen. Junge Menschen wollen diese Verantwortung mittragen. Und so sehen sie sich nicht nur in Freizeit und im „Spaßhaben“ ausgebremst, sondern auch in ihren individuellen und gesellschaftlichen Gestaltungsmöglichkeiten, wie die beiden nachfolgenden Zitate aus den JuCo Studien veranschaulichen:

„Es wird häufig in der Politik darüber diskutiert, was mit den Schulen, den Schülern und dem Unterrichtsstoff passieren soll. Aber wir (also die Schüler) werden nie gefragt, also es wird nicht gefragt, ob bzw. was für Lösungsideen wir haben oder was wir für das Beste halten oder was wir uns wünschen.“ (Befragte*r JuCo I)

„Ich fühle mich, als könnten dies eigentlich einiger der besten Jahre meines Lebens sein und alles, worum es gerade geht, sind Regeln, Einschränkungen und Angst. Es ist quasi alles verboten, was Spaß macht. Man kann nirgendwo mehr einfach loslassen und einfach mal ungestört Spaß haben und z.B. feiern, ich hinterfrage jeden meiner Schritte und was er für Konsequenzen mit sich ziehen kann.“ (Befragte*r JuCo II)

Diese Gestaltungsmöglichkeiten müssen sie erhalten, auch und gerade in Krisenzeiten, denn junge Menschen haben ein Recht auf Beteiligung. Diese lassen sich nicht einfach aussetzen.

Hintergrund

Am 12. April 2021 findet der zweite Teil der digitalen Veranstaltungsreihe

„Corona: Soziale Kosten und soziale Folgen

Teil II: Kinder- und Jugendhilfe

Die Pandemie als Katalysator längst zu beantwortender Fragen

statt. Anmeldungen und weitere Informationen HIER.

Die Veranstaltungsreihe ist eine Kooperation der Evangelischen Akademie Sachsen mit der Fachhochschule Erfurt sowie der Evangelische Hochschule Dresden.

Gesprächspartner:innen

Während der Veranstaltung ist die Interviewpartnerin nach einem inhaltlichen Impulsbeitrag Gesprächs- und Diskurspartnerin.

Dr.‘in Severine Thomas

Universität Hildesheim

Institut für Sozial- und Organisationspädagogik

web: https://t1p.de/Severine-Thomas

Studienverweise:

Dr.‘in Severine Thomas. Foto: C. Ehlke

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